Bundesverfassungsgericht und Landesverfassungsgerichte als „Hüter der Verfassung“

Mit dem Bundesverfassungsgericht ist in den zuletzt zitierten Bestimmungen zudem die praktisch wichtigste und wirksamste Institution angesprochen, die das Grundgesetz zur Durchsetzung und zum Schutz der Verfassung geschaffen hat. Es ist als „Hüter der Verfassung“ einerseits echtes unabhängiges Gericht und Teil der rechtsprechenden Gewalt, andererseits Verfassungsorgan und insoweit den Spitzen der Exekutive und Legislative im Bundesstaat (Bundespräsident, Bundeskanzler, Präsident des Deutschen Bundestags und Präsident des Bundesrats) gleichgeordnet.

Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist es, das Grundgesetz letztverbindlich auszulegen und durchzusetzen. Die Etablierung einer – nur zum Teil auf historische Vorbilder zurückführbaren – ganzheitliche Verfassungsgerichtsbarkeit, die alle Akte der Staatsgewalt auf ihre Verfassungsgemäßheit zu kontrollieren hat und verfassungswidrige Akte der Exekutive, Legislative und Judikative umfassend korrigieren kann, ist zu einem „Erfolgsmodell“ geworden, das auch international Beachtung und Nachahmung findet.

Das Bundesverfassungsgericht hat sich seit der Aufnahme seiner Rechtsprechungstätigkeit im September 1951 in Karlsruhe in den Augen der Bevölkerung gleichbleibend das höchste Ansehen aller Staatsorgane und eine breite Zustimmung als Garant einer gerechten Verfassungsordnung erarbeitet. Das überaus positive Gesamturteil über die deutsche Verfassungsgerichtsbarkeit bedarf allenfalls einer (hoffentlich hypothetisch bleibenden) Einschränkung: von einer „Bewährungsprobe“ wie unter „Weimarer Verhältnissen“ mit den Ausmaßen der Weltwirtschaftskrise ab 1929 und mit dem Aufkommen des nationalistischen Faschismus sind das Grundgesetz und die Bundesrepublik Deutschland bisher verschont geblieben. Die europaweite Finanzkrise 2007 ist zwar noch längst nicht überwunden. Die Ansätze zu ihrer Bewältigung geben aus heutiger Sicht aber doch eher Anlass zu einer jedenfalls nicht pessimistischen Einschätzung der politischen und verfassungsrechtlichen Bewährung, Stabilität und Zukunftsfähigkeit der Staats- und Verfassungsordnung mit ihrer vom Grundgesetz geförderten supranationalen Einbindung vor allem in die Europäische Union.

Auch die 16 Landesverfassungsgerichte aller Bundesländer sind als Verfassungsinstitutionen anerkannt und in vergleichbarer Weise mit dem Schutz der Landesverfassungen betraut (Staatsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg in Stuttgart; Bayerischer Verfassungsgerichtshof in München; Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin; Verfassungsgericht des Landes Brandenburg in Potsdam; Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen; Hamburgisches Verfassungsgericht; Staatsgerichtshof des Landes Hessen in Wiesbaden; Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern in Greifswald; Niedersächsischer Staatsgerichtshof in Bückeburg; Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster; Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz in Koblenz; Verfassungsgerichtshof des Saarlandes in Saarbrücken; Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen in Leipzig; Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt in Dessau; Schleswig-Holsteinisches Landesverfassungsgericht in Schleswig; Thüringer Verfassungsgerichtshof in Weimar). Die Landesverfassungsgerichte sind in allen Ländern ebenfalls Verfassungsorgane, im Einzelnen jedoch unterschiedlich ausgestaltet. Auch wenn sie weder die Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts für das Staatsganze erreichen noch dessen öffentliche Aufmerksamkeit und Reputation, sind sie für das Selbstverständnis der Länder und die Einhaltung des Landesverfassungrechts in den Bundesländern unverzichtbar. Mit der Bildung von Verfassungsgerichten in den neuen Bundesländern und Berlin Anfang der 1990er-Jahre sowie in Schleswig-Holstein im Jahre 2008 ist die Auffangzuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts zur Entscheidung über Landesverfassungsstreitigkeiten in Ländern ohne Landesverfassungsgericht obsolet geworden.