Ein Fall von Beförderungsdiskriminierung aus der Praxis

Den nachfolgend wiedergegebenen Vortrag hat Rechtsanwalt Kluge vor Vertreterinnen österreichischer Behörden am 24. März 2013 in Wien auf Schloss Laudon gehalten. Der Vortrag behandelt ein damals in der Arbeitsgerichtsbarkeit noch anhängiges Verfahren, in dem Rechtsanwalt Kluge die Klägerin vertrat, und das auch international große Beachtung fand. Dieses Verfahren hat inzwischen durch einen Vergleich seinen Abschluss gefunden. Hinsichtlich des Inhaltes des Vergleiches haben die Parteien striktes Stillschweigen vereinbart. Die in dem Vortrag behandelten Rechtsfragen sind bis heute nicht durch ein rechtskräftiges Urteil entschieden worden. Sie harren vielmehr weiterhin der Klärung und sind immer noch sehr brisant.

Zwei Punkte waren es, die besondere Aufmerksamkeit erregten. Zum einen die Art der zuerst vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg umfassend gebilligten Beweisführung, nämlich der mittels eines Hinweises darauf, dass in dem betreffenden eigentlich frauendominierten Unternehmen es gleichwohl keine von ihnen auf Vorstands- oder Direktorenebene geschafft hat. Das zweite, was für große Öffentlichkeit sorgte, war die Höhe des Schadensersatzes. Frau K. sollte nämlich die Differenz zum entgangenen Direktorengehalt ohne zeitliche Begrenzung erhalten, möglicherweise also bis zur Rente.

Die Vortragsform ist beibehalten.

Vortrag von Rechtsanwalt Kluge am 24. März 2013  auf einer Veranstaltung des österreichischen Bundeskanzleramtes (Gleichstellungswaltschaft)

I. Einleitung – ein Fall von Geschlechtsdiskriminierung mit breiter auch internationaler Resonanz

„Sehr verehrte Damen,

Es ging und geht  – etwas vereinfacht ausgedrückt – bei dem hier heute vorzustellenden Fall vornehmlich schlicht um die Frage, ob die Tatsache, dass bei einem Unternehmen Frauen noch nie oder so gut wie gar nicht auf die Führungsebene vorgedrungen sind, ein Indiz für ein geschlechtsdiskriminierendes Umfeld bei dem betreffenden Unternehmen sein kann.

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat in seinem Urteil aus dem Jahr 2008 ganz pauschal gesagt: Ja, ein solches „Nichtvordringen“ von Frauen auf die Führungsebene eines Unternehmens ist jedenfalls dann ein Indiz für ein geschlechtsdiskriminierendes Umfeld, wenn das Unternehmen auf den unteren Ebenen frauendominiert ist. Dann könne es nämlich kein Zufall sein, dass, wie im Fall von Frau K., trotzdem alle 28 Führungspositionen im Unternehmen mit Männern besetzt seien. Und wenn das kein Zufall sein könne, dann reiche das allein aus, um von der Vermutung eines frauenfeindlichen Umfeldes im Unternehmen im Sinne des § 22 des deutschen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) auszugehen. In einem solchen Fall wechselt in Deutschland die Beweislast. Denn wenn eine solche Vermutung eines geschlechtsdiskriminierenden Umfeldes besteht, muss das Unternehmen beweisen, nicht geschlechtsdiskriminierend gehandelt zu haben. Es gilt dann die alte zivilrechtliche Richterregel:

Im Zweifel verliert der den Prozess, der die Beweislast trägt.

Und so war es vor dem Landesarbeitsgericht auch. Der Arbeitgeber konnte nach der Umkehr der Beweislast nicht beweisen, dass er nicht geschlechtsdiskriminierend gehandelt hatte. Er verlor dort also folgerichtig den Prozess.

Dieses Urteil stellte aber nur ein zwar wichtiges, aber eben nur ein Zwischenergebnis dar. Denn dieses Verfahren ist immer noch nicht abgeschlossen. Nachdem im Mai 2007 die Klage eingereicht worden ist,  läuft dieser Prozess bis heute. Wir sind im Augenblick noch in einer Mediation mit dem Arbeitgeber. Wenn die Mediation endgültig scheitern sollte – und das nehmen wir an –, wird der zweite Durchgang des Verfahrens vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg wahrscheinlich noch im Spätsommer dieses Jahres stattfinden. Und dann wird es wieder zum Bundesarbeitsgericht gehen, bei dem wir auch schon einmal waren. Es ist das höchste deutsche Arbeitsgericht.

Und das Bundesarbeitsgericht hat schon angekündigt, dass es ggf. in Bezug auf die Länge eines zu zahlenden materiellen Schadensersatzes im Hinblick auf die entgangene Beförderungschance auf die Position einer Direktorin den Europäischen Gerichtshof anrufen will zur Klärung der Frage, ob ein Arbeitgeber ein durch die diskriminierende Beförderungsentscheidung entgangenes Gehalt tatsächlich bis zur Rente zahlen muss, wie es das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg angenommen hat.

Obwohl das Verfahren also noch läuft, ist es auch heute schon sinnvoll, vor Ihnen über dieses Verfahren zu sprechen. Warum? Nicht wegen der schon angesprochenen erheblichen Höhe des möglichen Schadensersatzes. Auch das ist eine spannende Frage. Denn natürlich ist es von Bedeutung, ob die benachteiligte Frau nur für ein oder zwei Jahre das Gehalt des zu Unrecht bevorzugten Mannes erhält oder aber bis zur Rente. Damit sind aber wiederum gerade europarechtlich wieder so viele schwierige Rechtsfragen verbunden, deren Klärung ein eigenständiges Seminar erfordern würde.

Die Frage bleibt, warum ich heute schon über einen noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Prozess zu Ihnen sprechen kann. Das hängt damit zusammen, dass wesentliche Zwischenergebnisse dieses Prozesses nicht mehr revisibel sind. Im deutschen Prozessrecht ist es so, dass vom Bundesarbeitsgericht bereits ausgesprochene Erkenntnisse Bindungswirkung für das weitere Verfahren haben werden und zwar auch für das Bundesarbeitsgericht selbst, wenn es demnächst ein weiteres Mal mit diesem Fall konfrontiert werden wird.

Um was geht es eigentlich genau bei diesem Fall. Ich zitiere Ihnen zuerst einmal einen Artikel aus der deutschen BILD-Zeitung. Nicht, dass ich diese Zeitung besonders mag. Nein, im Gegenteil. Dieses Blatt ist kein besonders angesehenes deutsches Presseorgan. Und es ist häufig unseriös. Aber eine Fähigkeit hat man dort. Die Fähigkeit nämlich, recht komplizierte Sachverhalte kurz und einprägsam darzustellen. Deshalb lese ich Ihnen einmal vor, was die BILD-Zeitung zum Fall von Frau K. schrieb, als diese ihren ersten wichtigen Zwischenerfolg im November 2008 vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg erzielte.  Es gab aber – um auch das nur zu erwähnen – auch sehr viel komplexere Darstellungen: Etwa in der ZEIT, in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG und sogar in der besonders arbeitgeberfreundlichen FAZ und im SPIEGEL. Dieser Artikel liegt Ihnen wohl vor.

Ich zitiere also aus der BILD-Zeitung vom 27.11.2008:

„Diesen Richter werden Frauen lieben!

Joachim Klueß verurteilt Unternehmen zur Gehaltserhöhung für eine Berlinerin, weil sie nicht befördert wurde.

Ob der Vorsitzende Richter der 15. Kammer am Landesarbeitsgericht, Joachim Klueß (52), ein Frauenversteher ist, wissen wir nicht. Doch das Urteil, das er gestern gesprochen hat, ist deutschlandweit einmalig, macht allen berufstätigen Frauen Mut! Zwei Jahre kämpfte S. K. (47) um ihr Recht. Gestern bekam sie es.“

DER FALL

Seit 1993 arbeitet K. (staatlich geprüfte Betriebswirtin) bei der Verwertungsgesellschaft G.. K.: „Zuerst als Personalreferentin. Ab 2002 leitete ich die Personalabteilung in Berlin.“ Den gleichen Job wie sie hatte Kollege R. (Diplom-Ökonom) in der Münchner Dependance. Doch obwohl K. sieben Jahre länger im Betrieb war, bekam er ein höheres Gehalt! Als er dann bei einer Beförderung bevorzugt, ja sie nicht einmal gefragt wurde, ob sie sich auf den Direktoren-Posten bewerben wolle, zog sie vor Gericht. K.: „Da hat es mir gereicht!“

DER RÜCKSCHLAG

Die erste Verhandlung verlor sie. Der Richter fand es weder frauenfeindlich noch diskriminierend, dass bei der G. zwar 65 Prozent Frauen arbeiten, es jedoch in 30 Jahren nur ein einziges Mal eine Frau auf einen der 27 Führungsposten schaffte. Urteils-Begründung: „Das ist das Abbild der Gesellschaft.“

DER SIEG

K. beauftragte einen Wissenschaftler. Der Wahrscheinlichkeitstheoretiker bewies mit einer mathematischen Formel, dass es zu 99 Prozent kein Zufall ist, dass bei der G. keine Frauen auf einem Chef-Posten sitzen.

Und das überzeugte Richter Klueß. Zum ersten Mal in Deutschland ließ er so eine Wahrscheinlichkeitsrechnung als Indiz zu. „Das ist Geschlechterdiskriminierung!“

20 000 Euro bekommt Frau K. vom Unternehmen jetzt als Entschädigung, u.a., weil sie gemobbt wurde, während ihre Klage lief.

Außerdem muss ihr die G. 28 214,66 Euro zahlen – als Ausgleich für das entgangene Direktoren-Gehalt! Monatlich bekommt sie nun zusätzlich 1467,87 Euro mehr – so lange, wie der Münchner Kollege seinen Job behält!

„Ich bin zufrieden“, sagt S. K. und strahlt. Doch die G. kann beim Bundesarbeitsgericht Revision einlegen.

Diese Revision hat die G. dann auch tatsächlich eingelegt. Mit einem teilweisen Zwischen-Erfolg, der aber den Erfolg, den Frau K. zuvor erzielte, nicht etwa insgesamt wertlos machte. Doch dazu später.

II. Zusammenfassung des Ausgangsfalls

Doch nun aber zum Fall, wie er sich wirklich zugetragen hat. Also doch noch etwas differenzierter, als die BILD-Zeitung das dargestellt hat.

Frau K. arbeitet seit nunmehr fast 20 Jahren für die G. in Berlin und leitet dort die Personalverwaltung. Bei einer Belegschaft, die zu zwei Dritteln aus Frauen bestand, waren alle 27 Führungspositionen mit Männern besetzt. Die beklagte G. ist in Deutschland ein wirtschaftlicher Verein und besteht z. Zt. aus 7 Bezirksdirektionen und einer Generaldirektion an den zwei Standorten Berlin und München, wobei Berlin der juristische Sitz der G. ist. Man beschäftigt sich damit, Geld für Komponisten und sonstige Musikurheber einzutreiben. Bei Ihnen in Österreich ist das Gegenstück meines Wissens die „Staatlich genehmigte Gesellschaft der Autoren, Komponisten und Musikverleger, eine registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung“ (AKM). An den beiden Standorten der G. in Berlin und München arbeiten ca. 300 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. An beiden Standorten gibt es je eine Personalabteilung; derjenigen in Berlin steht Frau K. bis heute als Abteilungsleiterin vor. Frau K. wurde die Positionsbezeichnung Personalleiterin übrigens immer verwehrt, obwohl sie, wie sie mehrfach im Prozess dargestellt und unter Beweis gestellt wurde, ein Mehr an Aufgaben gegenüber dem Leiter der Münchner Personalverwaltung ausgeführt hat, der sich aber Personalleiter nennen durfte, einer hierarchiemäßig höheren Einstufung.

Frau K. ist also seit 1993 im Unternehmen der G. in Berlin tätig, erst als Personalreferentin, seit 1995 auch als Stellvertreterin der Personalleiterin und später als Abteilungsleiterin; die faktische Leitung hatte sie seit 2002 inne. Der Münchner Personalleiter, der ihr dann später vorgezogen wurde, trat demgegenüber erst im Jahr 2000 in die G. ein. Ein Direktor stand den beiden Personalabteilungen als Personaldirektor vor und stand zusätzlich den Bezirksdirektionen, die zum damaligen Zeitpunkt auch nur von Männern geleitet wurden, für arbeitsrechtliche und personalpolitische Fragen zur Verfügung. Die G. selbst hat Frau K. bereits im Jahr 2001 in einer Internet-Veröffentlichung „Führungskräfte im Bild“ als gleichberechtigt mit dem Münchner Kollegen ausgewiesen.

Der damalige Personaldirektor hat Frau K. Mitte des Jahres 2006 bei einem gemeinsamen Abendessen mitgeteilt, dass die G. vorhabe, eine Rechtsabteilung zu gründen, der er als Direktor vorstehen solle, und dass er damit nicht mehr die Aufgaben des Personaldirektors wahrnehmen könne. Er deutete an, dass er den bisherigen Münchner Personalleiter als seinen Nachfolger vorschlagen wolle.

Mit der Übertragung der Leitung der neugegründeten Rechtsabteilung Anfang Dezember 2006 auf den vormaligen Personaldirektor wurde dessen Position also vakant, die sodann ohne Ausschreibung und schriftlich niedergelegtes Anforderungsprofil tatsächlich auf den Münchner Personalleiter übertragen wurde. Frau K. wurde bei der Besetzung dieser Position übergangen, ja nicht einmal dazu befragt, ob sie an der Position Interesse habe.

Ihre Klage nach dem deutschen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz wegen diskriminierender Beförderungsentscheidung auf Grund des Geschlechtes hat Frau K. dann im Mai 2007 eingereicht. Sie hat dort dann, wie die BILD-Zeitung so plastisch geschildert hat, zu dem geschilderten Zwischenerfolg geführt.

Bei der dort zugebilligten  Entschädigung in Höhe von 20.000 Euro sind übrigens 16.000 Euro enthalten für diverse Mobbinghandlungen, die alle erst einsetzten, als der Frau K. bevorzugte männliche Kandidat, der dann ja tatsächlich ihr Chef wurde, sofort nach Amtsantritt damit begann, sie unter Druck zu setzen. Sei es mit der Bemerkung, dass Frau K. doch über ihre Zukunft bei der G. am besten gleich über Weihnachten nachdenken solle, sei es, dass er ihr alle bisher vorhandenen eigenständigen Kompetenzen nahm, indem er anordnete, dass nunmehr jeder bisher eigenständig von Frau K. bearbeitete Vorgang über seinen Tisch zu gehen habe. Oder sei es, dass er Frau K. bei persönlichen Begegnungen oder Workshops im Unternehmen die Begrüßung verweigerte und ihr sagte, dass sie, wenn er davon gewusst hätte, nicht zu der besagten Zusammenkunft der G.-Mitarbeiter eingeladen worden wäre. Die Vielzahl der Mobbing-Handlungen ist in den Urteilen von Landes- und Bundesarbeitsgericht nachzulesen. Auch dazu steht noch ein abschließendes Urteil aus.

Aber auch insoweit hat dieser Fall in Deutschland grundsätzliche Bedeutung erlangt. Denn  es gibt kaum erfolgreiche Mobbing-Klagen bei uns. Denn die Darlegungs- und Beweislast liegt in Deutschland in vollem Umfang bei den Klägern. Und daran scheitern sie regelmäßig. Denn der schlaue Mobber mobbt unter vier Augen und schon gar nicht in schriftlicher Form. Der Mobber in diesem Fall, der neue Chef von Frau K. also, war allerdings nicht so schlau – glücklicherweise muss man sagen. Denn er mobbte auch in Gegenwart Dritter, und er hinterließ schriftliche Spuren. Und auch der Kompetenzentzug ließ sich natürlich nicht aus den Akten fernhalten. Somit ist also auch die Klärung einiger wichtiger Fragen zum Mobbing  – und das war am Anfang überhaupt nicht abzusehen – zum Gegenstand dieses Verfahrens geworden. Das berichte ich Ihnen nur, weil es heute Vormittag diesen wichtigen Vortrag zu den psychischen Folgen von Diskriminierungserfahrungen gegeben hat. Wenn also eine Frau ihre Rechte wahrnimmt, solange sie noch im Unternehmen ist, muss sie also – so lehrt dieser Fall – auch bei seriösen Unternehmen damit rechnen, gemobbt zu werden. Vor allem, wenn – wie hier – der bevorzugte männliche Bewerber auch noch der Vorgesetzte der betroffenen Frau wird.

Das wirklich Neue an dem Urteil ist also neben der Höhe des Schadensersatzes: Den Richtern reichte als Indiz für die Benachteiligung eine Statistik darüber aus, welche Stellen auf der Führungsebene von Männern und welche von Frauen besetzt sind. Hier reichte schon die statistische Tatsache aus, dass keine Frau unter den Führungskräften war.

Im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Deutschlands heißt es in § 22:

Wer sich benachteiligt fühlt, muss grundsätzlich nur „Tatsachen glaubhaft machen“, die eine Diskriminierung „wahrscheinlich erscheinen lassen“.

Diese Vorschrift hat also eine Ähnlichkeit mit Ihrem § 12 Abs. 12 des Gleichbehandlungsgesetzes. Das AGG gilt seit 2006 in Deutschland und soll unter anderem verhindern, dass jemand im Berufsleben wegen seines Geschlechts benachteiligt wird. In diesem Fall also jedenfalls mit vorläufigem Erfolg. Die G. hatte nach Umkehr der Beweislast zu ihren Lasten zu beweisen, dass das Geschlecht bei der Beförderung keine Rolle gespielt hat und Frau K. nicht benachteiligt wurde. Doch gerade das gelang der G. nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts nicht. Zum einen nicht, weil die Stelle nicht ausgeschrieben worden war, und zum anderen, weil eine sorgfältige Dokumentation der Auswahlentscheidung fehlte. Zudem hätte der Arbeitgeber sich auf eine gegebenenfalls bessere Qualifikation des bevorzugten Kollegen viel früher berufen müssen.

III. Wesentliche Argumentation der Klägerin – statistische Beweisführung

Frau K. hat als Indiz im Sinne des § 22 AGG bereits auf bestimmte statistische Zusammenhänge beim Beklagten hingewiesen, die aus ihrer Sicht eine Vermutungstatsache im Sinne dieser Norm begründen. Die Europäische Union hat in ihren Richtlinien regelmäßig Statistiken als zulässiges Mittel der Glaubhaftmachung genannt. Auch der deutsche Gesetzgeber nennt in der Begründung zum AGG die Statistik als eines der typischen Mittel der Glaubhaftmachung.

Der Europäische Gerichtshof geht davon aus, dass immer dann von einer Vermutung für eine Diskriminierung wegen des Geschlechts auszugehen sei, wenn eine Maßnahme oder ein Handeln erheblich unterschiedliche Wirkung für Männer und Frauen habe und sich insbesondere aus den verfügbaren statistischen Daten ergebe, dass ein wesentlich geringerer Prozentsatz der weiblichen als der männlichen Arbeitnehmer durch diese Maßnahme nachteilig betroffen sei.

Bei der G. bestehen zwei Drittel der Gesamtbelegschaft (damals 1128 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter) aus Frauen. Bei ihm arbeiteten damals in der ersten und zweiten Führungsebene hingegen zu 100 % Männer. Frau K. hatte, ausgehend von 69,67 % Frauen in der Belegschaft des Beklagten, Standardabweichungen von der zu erwartenden Zusammensetzung der Führungskräfte angegeben. Die errechnete Wahrscheinlichkeit für eine Diskriminierung wegen des Geschlechts lag je nach Variante zwischen 98,7 % und 100 %. Später hat sie dieses Vorbringen vertieft. Frau K. holte privat ein  Sachverständigengutachten über statistische Wahrscheinlichkeiten eines  Versicherungsmathematischen Sachverständigen und Diplom-Mathematikers ein.

Der Gutachter nahm in seiner Untersuchung auch Bezug auf die vorhandenen Erfahrungen in den Vereinigten Staaten von Amerika, in denen dieses Rechtsgebiet schon länger vorhanden ist. Seit ca. 30 Jahren werden in den USA statistische Verfahren angewandt, um als Indiz für den klagenden Arbeitnehmer gerichtlich zu beweisen, dass eine bestimmte Ungleichbehandlung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht auf Zufall beruht. Statistische Auswertungen sind in solchen Fällen nach Auffassung der amerikanischen Gerichte oft die einzige Möglichkeit, die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer anderen Ursache (vermutet wird dann zunächst Diskriminierung, was zur Umkehrung der Beweislast führt) nachzuweisen (so die Entscheidungen  des Supreme Courts „Teamsters v. United States, 431 US 324, n.15 (1977)“, „ Hazelwood School District v. United States, 433 US 299 (1977)“.

So führte z. B. der Supreme Court aus, dass die Verwendung von Statistiken über Ungleichverteilungen oft der einzige Weg sei, Diskriminierung nachzuweisen (Teamsters v. United States, 431 US 324, n.15 (1977). In der Praxis gilt es in den USA als überwiegend wahrscheinlich, wenn mehr für als gegen eine Diskriminierung spricht. Dies wird anerkannt, wenn die statistische Analyse zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Ungleichverteilung (z. B. zwischen Männern/Frauen bei der Stellenbesetzung) zufällige Ursachen haben kann, weniger als 5 % beträgt – die Wahrscheinlichkeit, dass eine andere Ursache vorliegt, dagegen mindestens 95 %. Es kommen aber auch weniger strenge Anforderungen vor.

Folgende im Ergebnis zusammengefasste Aussagen des Sachverständigen wurden zum unmittelbaren Gegenstand des klägerischen Vorbringens gemacht:

„Ergebnis: Die Anwendung statistischer Methoden im vorliegenden Fall zeigt, dass der geringe Frauenanteil (in Höhe von Null) bei der Besetzung der Direktorenstellen (wie auch bereits nur der letzten sechs oder sieben Besetzungen) mit überwiegender Wahrscheinlichkeit keine zufällige Ursache – d. h. eine solche, die keine Rücksicht auf das Geschlecht nimmt hat. Zu mindestens und teilweise weit über 95 %  ist es wahrscheinlich, dass ein anderer Grund – wie eine Diskriminierung von Frauen – z. B. auch im Sinne einer sogenannten „Gläsernen Decke“ die Ursache ist.

Die Statistik kann keine Aussage über die tatsächliche Ursache treffen – nur darüber, dass es kein Zufall sein kann, wenn keine Frauen als Direktoren eingesetzt werden. In Gerichtsverfahren der USA führt dies dazu, dass der Arbeitgeber beweisen muss, welche Ursache zu einem solchen Ergebnis geführt hat, sonst wird das Gericht Diskriminierung als Ursache für erwiesen ansehen. Da sachlich nach AGG die gleichen Kriterien anwendbar sein dürften, dürfte eine solche statistische Aussage auch dazu führen, dass Indizien für eine Diskriminierung bewiesen sind, was dann wie in USA zur Beweislastumkehr führt.“

Die beigefügte Begutachtung ergab unter anderem, dass bei 50 000 Fällen (= fiktiven Unternehmen) es bei einem Anteil von 57,5 % Frauen als „Auswahlbasis“ für Beförderungen auf sogar nur 16 Direktorenstellen es in keinem der Zufallsexperimente dazu gekommen war, dass – wie beim Beklagten – überhaupt keine Frau Direktor geworden ist. Mit anderen Worten. Das kann kein Zufall sein, und zwar selbst unter strenger wissenschaftlicher Betrachtung nicht.

Geht man von einer Grundgesamtheit von 49,5 % Frauen aus, kommt der Gutachter zu dem Ergebnis, dass in 50 000 Fällen es nur ein (!!) mal Zufall wäre, das, wie beim Beklagten, keine Frau bei selbst nur 16 angenommenen Direktorenstellen zum Zuge gekommen wäre. Auch das kann kein Zufall sein.

Soweit die statistische Argumentation von Frau K. in diesem Verfahren.

IV. Zum Verfahrensgang im Einzelnen

1. Arbeitsgericht Berlin

Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Urteil vom 30. Januar 2008  die Klage insgesamt abgewiesen. Es ist insoweit schon von einem falschen Sachverhalt ausgegangen, weil es entgegen dem unstreitigen Sachvortrag beider Parteien angenommen hat, dass die männliche Vergleichsperson im Gegensatz zu Frau K. Jurist sei. Selbst wenn Herr R. und Frau K. über gleiche Erfahrungen verfügen sollten, wäre der Beklagte in der Auswahl frei. Auch die Art und Weise der Stellenbesetzung lasse keine Indiz-Wirkung für eine Benachteiligung der Klägerin wegen ihres Geschlechts zu. Insofern sei es unerheblich, ob die Stelle innerbetrieblich hätte ausgeschrieben werden müssen.

Leider hatte dieses erstinstanzliche Gericht nicht nur übersehen, dass der bevorzugte männliche Konkurrent gar kein Jurist ist, sondern vor allem auch, dass die angeblichen Mehrerfahrungen dieses Herrn heftig bestritten worden waren und auch nicht substantiiert unter Beweis gestellt werden konnten. Die Akten waren sehr dick. Der Richter hatte sie offensichtlich nur oberflächlich gelesen, was ihm dann in einer in Deutschland geführten sog. Richterdatenbank den Spitznamen „der Faulpelz“ eintrug, ein Name, der ihn auch im Kollegenkreis und im Internet lange verfolgte. Inzwischen scheint es ihm gelungen zu sein, diesen Beinamen aus dem Internet zu entfernen.

2. Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg als Berufungsgericht

Dann kam also jene epochale und mehrfach erwähnte Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg. Die juristischen Kernaussagen dieses Urteils lauten.

Kernaussagen:

1. Als Indiz für eine Geschlechtsdiskriminierung bei einer Beförderung auf einen Führungsposten (hier Personalleiter eines Unternehmens mit über 1.100 Beschäftigten) kann insbesondere auch eine Statistik über die Geschlechtsverteilung auf den einzelnen Hierarchieebenen herangezogen werden.

2. Statistische Nachweise müssen schon deswegen berücksichtigungsfähig sein, da anderenfalls eine verdeckte Diskriminierung bei Beförderungen („gläserne Decke“) nicht ermittelbar wäre.

3. Sind alle 27 Führungspositionen nur mit Männern besetzt, obwohl Frauen 2/3 der Belegschaft stellen, ist dies ein ausreichendes Indiz im Sinne von § 22 AGG.

4. In der zweiten Prüfungsstufe kann der Arbeitgeber sich regelmäßig nur auf diejenigen Tatsachen zur sachlichen Rechtfertigung der Beförderungsentscheidung berufen, die er zuvor im Auswahlverfahren nach außen ersichtlich hat werden lassen.

5. Erfolgt die Auswahl ohne eine Stellenausschreibung oder sonstige schriftlich dokumentierte Auswahlkriterien, kann der Arbeitgeber regelmäßig mit seinen Einwendungen nicht gehört werden.

Das Landesarbeitsgericht beruft sich zur Begründung seiner Entscheidung auf den Europäischen Gerichtshof. Denn auch dieser habe die Heranziehung von Statistiken etwa für den Nachweis einer geschlechtsbedingten Diskriminierung insbesondere dann genügen lassen, wenn das Entgeltsystem oder das Einstellungssystem völlig intransparent sei.

Zur Begründung seiner eigenen Auffassung weist das LAG weiter darauf hin, dass statistische Nachweise schon deswegen berücksichtigungsfähig sein müssten, weil anderenfalls eine verdeckte Diskriminierung bei Beförderungen („gläserne Decke“) nicht ermittelbar wäre. Es könne nicht sein, dass nur noch die Fälle der offenen Diskriminierung sanktioniert werden könnten. Denn in der Praxis seien diese offenen Diskriminierungen irrelevant. Die Arbeitgeber hätten gelernt, wie sie eine materiell am Geschlecht orientierte Auswahlentscheidung trotz entsprechender Verbote erfolgreich tarnen könnten. Dass ein Arbeitgeber sich offen zur Diskriminierung bekennt, sei dem Vorsitzenden der Kammer in 17 Jahren nur ein Mal vor längerer Zeit passiert: Die Bewerbung eines Mannes sei mit der Begründung abgelehnt worden, es handele sich um einen Frauenbetrieb, so die damalige Mitteilung des Geschäftsführers und einzigen Mannes.

Tatsächlich gebe es jedoch auch eine verdeckte Diskriminierung von Frauen in Deutschland, der sich die Rechtsprechung auch stellen müsse. Obwohl der Frauenanteil an den Beschäftigten in Betrieben der Privatwirtschaft 45 % betrage, seien sie in Deutschland nur zu 26 % an Führungspositionen beteiligt, dies allerdings auch nur in Betrieben mit 1 – 9 Beschäftigten. Bei Betrieben mit 500 und mehr Beschäftigten seien Frauen auf der zweiten Führungsebene zu 12 % und auf der ersten Führungsebene zu 4 % beteiligt In Großunternehmen (mindestens 20 Mio. € Jahresumsatz und/oder über 200 Beschäftigte) betrage der Frauenanteil in Führungspositionen im Jahre 1995 4,8 % und im Jahre 2004 8,2 %. Anfang des Jahres 2007 habe er noch bei 7,5 % und im Jahre 2008 nur noch bei 5,5 % gelegen. Damit liege Deutschland auf dem siebtletzten Platz von 21 untersuchten Ländern in Europa. Es befinde sich im unteren Drittel, während die Frauenerwerbstätigenquote im Jahre 2006 mit 62,2 % in Deutschland innerhalb Europas im oberen Drittel liege. All dies könne nicht mit einer schlechteren Qualifikation von Frauen begründet werden, da Studentinnen in den letzten 20 Jahren gegenüber den Studenten bessere Durchschnittsnoten in den Zugangszeugnissen und sie auch sonst bessere Schulabschlüsse erreicht hätten. Es gebe starke Unterschiede in den Branchen. In den Banken sei jede vierte Führungskraft eine Frau. Im Gesundheits- und Sozialwesen und der privaten Dienstleistungsbranche betrage der Frauenanteil in Führungspositionen hingegen 40 %, im Groß- und Einzelhandel 32 %. Der Frauenanteil in Führungspositionen bei den obersten Bundesbehörden sei von 8,7 % in 1996, über 15 % in 2002 auf 20,1 % in 2006 gestiegen. In den hundert größten Unternehmen hätten sich im Jahre 2004 neben 685 Männern nur vier Frauen in Vorstandspositionen befunden, im Jahr 2008 sei es exakt noch eine Frau gewesen.  Bemerkenswert sei auch der Anteil von Frauen in den Aufsichtsräten in den hundert größten Unternehmen im Jahre 2005. Der Anteil läge nur bei 1,5 %, was durchaus dem Trend entspreche, dass der Frauenanteil immer stärker abnehme, je gewichtiger der Führungsposten sei. All dies – so das Gericht weiter – könne nicht auf Zufälle zurückgeführt werden.

Das Gericht fährt in diesem ambitionierten Urteil fort, dass davon auszugehen sei, dass mindestens auch diskriminierende Strukturen, Denk- oder Verhaltensweisen in den Betrieben die Aufstiegsmöglichkeiten von Frauen verhinderten. Die Tatsache, dass bei der G. ohne Ausnahme alle 27 Führungspositionen nur mit Männern besetzt seien, obwohl Frauen 2/3 der Belegschaft stellten, sei mehr als frappierend. Es sei ein ausreichendes Indiz im Sinne von § 22 AGG, um von einer Geschlechtsdiskriminierung auszugehen, wenn in einer solchen Situation erneut ein Mann statt einer Frau befördert wird.

Jedem Arbeitgeber stehe es auch weiterhin frei, Führungspositionen ausschließlich mit Männern zu besetzen. In einer gerichtlichen Auseinandersetzung müsse er dann aber in der Lage sein, zumindest im zweiten Schritt die Gründe für die Bevorzugung eines Mannes nachvollziehbar zu belegen. Insofern führe die Berücksichtigung von Statistiken als Indiz für eine Diskriminierung allenfalls dazu, die jeweilige Auswahlentscheidung transparent zu gestalten.

Das Gericht fährt dann wie folgt fort: Auf der zweiten Prüfungsstufe sei der G. hier auch nicht der Nachweis gelungen, dass kein Verstoß gegen ein Benachteiligungsverbot vorliege. Auch die nachträgliche Benennung von Gründen für die Bevorzugung des Mannes im Prozess durch die G. sei untauglich und rechtlich unzulässig. Nachträglich vorgebrachte Gründe könnten nur dann als „sachlich“ im Sinne der Vorschrift angesehen werden, wenn besondere Umstände erkennen ließen, dass der Arbeitgeber diesen Grund nicht nur vorgeschoben habe. Weil die G. hier ihre Auswahlkriterien vorab nicht nach außen dokumentiert habe, könne sie sich hierauf auch nicht berufen. Gründe für ein Nachschieben lägen nicht vor, da der G. die in Betracht kommenden Personen und die vom ihm selbst aufgeführten Kriterien frühzeitig bekannt waren.

Es sei weiter davon auszugehen, dass bei diskriminierungsfreier Auswahl Frau K. die am besten geeignete Bewerberin gewesen wäre.  Nach Ansicht des EuGH obliege es dem Arbeitgeber, der über sämtliche eingereichten Bewerbungsunterlagen verfüge, zu beweisen, dass der Bewerber die zu besetzende Position auch dann nicht erhalten hätte, wenn keine Diskriminierung stattgefunden hätte (EuGH vom 22.04.1997 – As. C – 180/95 – Draehmpaehl, Rn. 36, NZA 1997, 645).

Der nach § 15 Abs. 1 AGG zu leistende materielle Schadensersatz sei die Vergütungsdifferenz zwischen der tatsächlich erhaltenen und der Vergütung, die auf der höherwertigen Stelle gezahlt werde. Dieser Anspruch sei zeitlich nicht begrenzt. Die vorgebrachten Argumente für eine zeitliche Einschränkung würden nicht überzeugen. Hier lag also die Grundlage für die Zumessung des Schadensersatzes bis zur Rente.

3. öffentliche und wissenschaftliche Resonanz  auf das LAG-Urteil

Die Resonanz auf dieses Urteil in der Presse habe ich eingangs schon geschildert. Sie war überwiegend positiv, ja euphorisch. Selbst der eher konservativen Presse, zu der die BILD-Zeitung ja gehört, leuchtete unmittelbar ein, dass die Tatsache, dass in einem frauendominierten Unternehmen alle 27 Führungspositionen mit Männern besetzt sind, einen ersten Anschein für eine Diskriminierung darstellt mit der Folge, dass jetzt der Arbeitgeber beweisen muss, dass er bei seiner Einstellungsentscheidung nicht diskriminiert hat.

Ganz anders einige dezidiert wirtschaftsliberale deutsche Rechtswissenschaftler, für die ich nur stellvertretend den Hagener Rechtsprofessor Wackernagel nenne, der seinen Beitrag – völlig unwissenschaftlich – schon damit einleitet, er möchte zum Alkoholiker werden, wenn er solches lese. Er argumentiert, dass es unfassbar sei, dass sich tatsächlich in der Entscheidung des LAG der folgende Satz finde:

“Richtigerweise muss man aber von signifikanten Zuständen aus der Vergangenheit auf die Gegenwart schließen, außer wenn handfeste gegenläufige Tendenzen sichtbar werden.”

Ein solcher Schluss ist, so Professor Wackernagel weiter,  selbst bei Vorhandensein “aussagekräftiger” Statistiken gar nicht möglich. Denn es könne eben nicht ausgeschlossen werden, dass der Arbeitgeber sich eines Besseren besonnen habe. Der Rückschluss aus vergangenem Verhalten auf die heutige Motivation einer Entscheidung sei reine Willkür. Das LAG habe überdies eine erfundene Vorschrift angewandt. Das LAG fordere letztlich, dass für Unternehmen mit zu geringem Frauenanteil andere Maßstäbe für die Auswahlentscheidung bei Beförderungen gelten. Das höre sich zwar aufs Erste nach einem gangbaren Weg an. Die neue Rechtsnorm sei jedoch keine, denn sie laute:

“Wenn der Frauenanteil in Führungspositionen zu gering ist, dann ist bei Einstellung und Beförderung besonders aufzupassen”.

Dieses “besonders aufpassen” werde dann jedoch nicht konkretisiert (müsse der Arbeitgeber jetzt auf jedem Fall eine Frau einstellen oder nur unter besonderen Umständen und unter welchen?) noch werde gesagt, ab welchem genauen “Frauenanteil in Führungspositionen” denn diese anderen Maßstäbe gelten sollten (ab 0%, 10%, 20%?).

Arbeitgeber wüssten dann nicht mehr, woran sie seien. Die Folge sei Kadi-Justiz im schlimmsten Sinne des Wortes. Sie müsste vernünftige Menschen als Arbeitgeber veranlassen, ihr Unternehmen aufzugeben. Man könne nicht ein gesellschaftliches Problem auf dem Rücken einzelner verklagter Arbeitgeber lösen, indem man in bester Gesinnungsrechtsprechung ihnen etwas unterstelle, was man zwar glaube, aber eben nicht nachweisen könne. Man solle auch nicht sagen, dass der Gesetzgeber (!) nicht über genügend Mittel verfügen würde, um an der unerwünschten gesellschaftlichen Situation etwas zu ändern. Der Gesetzgeber (aber nicht das LAG.) könne etwa bestimmte Frauenquoten und Dokumentationspflichten vorschreiben. Er (aber nicht das LAG) könne möglicherweise auch verlangen, dass Einstellungsentscheidungen privater Arbeitgeber auf sachlichen Gründen beruhen müssten. Aber all diese Vorschriften habe der deutsche Gesetzgeber eben nicht erlassen. Das AGG enthalte derartige Pflichten gerade nicht. Wenn der Richter solche Pflichten erfinde, überschreite er ganz unbestreitbar die Grenzen richterlicher Rechtsfindung. Das sei nicht mehr Jura, sondern reine Politik, aber eben ohne die erforderliche Zuständigkeit. Vorschriften wie die, die das Gericht und andere den Arbeitgebern in Deutschland bei der Auswahl ihrer Leute machen wollten, hätten einen Zug zum Totalitären, schon weil sie in Tatbestand und Rechtsfolge völlig unscharf und damit unberechenbar seien. Vergleichbar unscharfe Normen gebe es sonst nur in Unrechts-Regimen. Sie seien damit geeignet, Unternehmertum in Deutschland in Frage zu stellen. Vermutlich würden die Geschlechterkämpfer in Deutschland aber erst dann aufgeben, wenn alle Männer und Frauen vollständig und in jeder Hinsicht gleichbehandelt seien. Im Zweifel habe dann allerdings niemand mehr einen Arbeitsplatz, weil es keine Arbeitgeber mehr gebe, die sich derartiger wissenschaftlich verbrämter oder judizieller Gesinnungskontrolle aussetzen wollten.

Was dieser Rechtsprofessor leider bei seinen polemischen Ausführungen vergaß, war, dass die Rechtsprechung zur Nutzung statistischer Daten gerade aus den USA stammt. Also fürwahr keinem Land, bei dem man annehmen könnte, dass Staat oder Rechtsprechung es den Unternehmern besonders schwer machen würden, oder dass es dort wegen dieser Rechtsprechung schon gar keine mehr gäbe.

4. Bundesarbeitsgericht als Revisionsgericht

Der 8. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat dann mit Urteil vom 22. Juli 2010 das Schlussurteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 26. November 2008 aufgehoben. Das BAG steht auf dem Standpunkt, dass dessen Annahme, dass sich auch aus Statistiken grundsätzlich Indizien für eine Geschlechterdiskriminierung ergeben könnten, revisionsrechtlich zwar nicht zu beanstanden sei.

Eine Vermutung für ein deshalb anzunehmendes regelhaftes Verhalten könne sich aus statistischen Daten aber nur dann ergeben, wenn sie sich konkret auf den betreffenden Arbeitgeber bezögen und im Hinblick auf dessen Verhalten aussagekräftig seien.

Die von der Klägerin als unmittelbares Indiz für ihre Benachteiligung vorgetragene „gläserne Decke“ zwischen der Hierarchieebene, auf der sie tätig sei (Abteilungsleiterebene), und derjenigen, auf die sie bei benachteiligungsfreier Auswahl nach ihrer Meinung hätte aufsteigen müssen (Direktorenebene), könne eine solche Vermutung nur dann begründen, wenn die statistische Betrachtung über die Beförderungspolitik des Arbeitgebers Aufschluss gebe, soweit sie die fraglichen Hierarchieebenen betreffe.

Das Landesarbeitsgericht habe insoweit nicht alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände in sich widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denkgesetze berücksichtigt. Sie habe aus der Besetzung der Positionen auf der Ebene oberhalb der Abteilungsdirektoren mit Männern und Frauen im Verhältnis zum Frauenanteil an der Gesamtbelegschaft darauf geschlossen, dass der unstreitig weit unterdurchschnittliche Frauenanteil in den oberen Führungsebenen des Beklagten auf einer „gläsernen Decke“ beruhe. Daraus habe das LAG aber zu Unrecht auf eine regelhafte Benachteiligung von Frauen wegen des Geschlechts in der Vergangenheit geschlossen.

Allein das Verhältnis zwischen dem Frauenanteil der Gesamtbelegschaft und dem in oberen Führungspositionen lasse einen Rückschluss auf die Ungleichbehandlung von Frauen beim beruflichen Aufstieg in bestimmte Hierarchieebenen eines Unternehmens nicht zu. Um beurteilen zu können, ob signifikant weniger Frauen als Männer die Hierarchiestufe oberhalb einer angenommenen „gläsernen Decke“ erreichen würden, bedürfe es allerdings der Feststellung, wie viele Frauen überhaupt unterhalb dieser angekommen seien. Darüber gebe der Anteil von Frauen an der Gesamtbelegschaft keinen Aufschluss. Hierfür müsste nämlich feststehen, welche Positionen auf den Ebenen „Abteilungsdirektor aufwärts“ im Einzelnen existierten, und von welchen Positionen der darunter liegender Ebenen tatsächlich eine Beförderung dorthin denkbar gewesen wäre und immer noch sei. So werde beispielsweise die Personalleiterin einer Generaldirektion üblicherweise nicht auf die Position einer Marketingdirektorin befördert. Auch ansonsten bestehe nicht für jeden Inhaber einer Position einer niedereren Ebene objektiv betrachtet eine Beförderungsmöglichkeit auf eine höhere Ebene. Selbst unter der Prämisse, dass aufgrund des Frauenanteils bei der G. tatsächlich ein Reservoir für Beförderungen von Frauen auf die Führungsebenen oberhalb der behaupteten „gläsernen Decke“ existiere, berücksichtige das LAG in seiner Annahme, es bestehe mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine „gläserne Decke“, nicht alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände.

Als mögliche Gründe für die mangelnde Repräsentation von Frauen oberhalb einer bestimmten Ebene gehe sie nämlich im Ergebnis nur von echtem Zufall oder einer diskriminierenden Haltung des Beklagten aus. So werte sie den Einwand der G., zahlreiche Direktoren hätten Betriebszugehörigkeiten von mehr als 30 Jahren, lediglich als Eingeständnis, dass in der Vergangenheit möglicherweise „eine Politik der Benachteiligung von Frauen“ vorhanden gewesen sei. Allein die Tatsache, dass bei einem Arbeitgeber in Führungspositionen zahlreiche Männer mit sehr langen Betriebszugehörigkeiten arbeiteten, begründe ohne weitere Anhaltspunkte nicht die Vermutung für eine frühere diskriminierende Haltung des Arbeitgebers gegenüber Frauen.

Soweit das LAG die gesellschaftlichen Verhältnisse bei ihrer Würdigung der Geschlechterverteilung nicht berücksichtigen wolle, halte auch dies einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das LAG übersehe dabei, dass ein Arbeitgeber gar nicht in der Lage, geschweige denn verpflichtet sei, gesellschaftliche Gegebenheiten, die der Erwerbstätigkeit und/oder dem beruflichen Aufstieg von Frauen entgegen stünden, durch seine Personalpolitik auszugleichen. Insoweit widerspreche es allgemeinen Erfahrungssätzen, wenn das LAG annehme, die schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf könne sich nicht auf den Anteil von Männern und Frauen in höheren Hierarchieebenen auswirken. Es entspreche vielmehr allgemeiner Lebenserfahrung, dass ein beruflicher Aufstieg häufig eine nicht unerhebliche Flexibilität voraussetze (z.B. Bereitschaft zur Leistung von Überstunden, Teilnahme an Fortbildungsmaßnahmen und Tagungen, Durchführung von Dienstreisen und Versetzungsbereitschaft an andere Standorte), welche sich mit der häufig von Frauen ausschließlich oder überwiegend wahrgenommenen Kindererziehung nicht oder nur schlecht vereinbaren lasse, und die auf niedrigeren Hierarchiestufen nicht in gleichem Maße gefordert werde. Der Vergleich des Anteils von Frauen auf Führungspositionen bei anderen Unternehmen stelle ebenfalls kein Indiz für das Vorliegen einer „gläsernen Decke“ beim Beklagten dar. Es fehle insoweit an vergleichbarem und damit aussagekräftigem Tatsachenmaterial. Da das AGG bei der Überprüfung von Beförderungsentscheidungen auf den Einzelfall abstelle, genüge es im Regelfall auch nicht für ein „Indiz“ i.S.d. § 22 AGG, wenn lediglich „auffällige Ungleichgewichte“ beim Frauenanteil in verschiedenen Hierarchieebenen eines Unternehmens vom Anspruchsteller anhand von Statistiken bewiesen würden.

Für die Annahme einer geschlechtsbezogenen Diskriminierung von Frauen bei Beförderungsentscheidungen bedürfe es über die bloße Statistik hinaus weiterer Anhaltspunkte. Zudem sei unklar, auf welchen Zeitraum sich die Zahlenangaben des Landesarbeitsgerichts bezögen, und inwieweit der vom Landesarbeitsgericht verwendete Begriff der „Führungsposition“ mit den streitbefangenen „Führungspositionen“ beim Beklagten vergleichbar sei.

Es könne nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht vermutet werden, dass in den vergangenen 30 Jahren so viele geeignete Mitarbeiterinnen zur Verfügung gestanden hätten, dass die mangelnde Besetzung von Direktorenstellen mit Frauen auf Diskriminierungen beruht habe.

Auch insoweit habe das Landesarbeitsgericht zu Unrecht gesellschaftliche Faktoren nicht in seine Würdigung mit einbezogen. Das LAG habe – aus seiner Sicht folgerichtig – keine abschließende Aufklärung und Gesamtbetrachtung aller von der Klägerin vorgetragenen Hilfstatsachen vorgenommen. Würden aber von dem Arbeitnehmer, der eine Benachteiligung geltend mache, Hilfstatsachen vorgetragen, die jeweils für sich allein betrachtet nicht ausreichten, um die Vermutungswirkung des § 22 AGG herbeizuführen, sei vom Tatsachengericht eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, ob diese Hilfstatsachen zur Begründung der Vermutungswirkung geeignet seien.

Hierbei werde das Landesarbeitsgericht bei seiner Würdigung, ob die Gesamtbetrachtung der von der Klägerin vorgetragenen Umstände es als überwiegend wahrscheinlich erscheinen ließen, dass bei dem Beklagten ein Umfeld gegeben sei, das dem beruflichen Aufstieg von Frauen generell ablehnend gegenüber stehe, mehrere bereits festgestellte Tatsachen mit einzubeziehen haben. So etwa die Vergabe der Funktion der Leitung der Bezirksdirektion N an den Mitarbeiter Ba… statt an die vormalige Bezirksdirektorin der geschlossenen Bezirksdirektion Halle, W im Jahre 1997, die unterbliebene Berücksichtigung der stellvertretenden Bezirksdirektorin des Standortes D, Gr…, auf die Position der Bezirksdirektorin des Standortes zugunsten eines männlichen Bewerbers, der nicht über das geforderte Hochschulstudium verfügte im Jahre 2005, und die Tatsache, dass nur Männer als Beobachter für das 2007 durchgeführte Entwicklungsaudit für die Ebenen Abteilungsdirektor/Abteilungsleiter fungierten.

V. Fazit

Das Fazit lautet also: Dieser Prozess wird weitergehen. Er wird auch unter der Nutzung von Statistiken weitergehen. Aber nicht auf der Grundlage der US-amerikanischen Rechtsprechung, wo das Geschlechter-Missverhältnis zwischen Führungsebene und Gesamtbelegschaft allein ausreichend ist, um ein Diskriminierungsindiz darzulegen. Die Klägerinnen in Deutschland werden – etwa mit Hilfe des Betriebsrates – sehr viel mehr zur Situation beim konkreten Arbeitgeber darlegen müssen als diejenigen in den USA. Sie werden vor allem darlegen müssen, wie viele Frauen direkt unterhalb der gläsernen Decke beim konkreten Arbeitgeber vorhanden sind, und wie viele davon von ihren beruflichen und ihren tatsächlichen Voraussetzungen her in der Lage gewesen wären,  die Führungspositionen wahrzunehmen. Das ist schwierig, aber es ist nicht unmöglich. Frau K. wird diesen Weg sehr wahrscheinlich weitergehen, weil sie weiß, dass, wenn nicht sie es macht, viele andere Frauen entmutigt sein werden und diesen Weg nicht mehr werden gehen wollen. Denn sie hat als Personalverantwortliche Daten, die andere Frauen erst mühselig mit Hilfe des Betriebsrates erlangen müssen. Frau K. hat auch den großen Vorteil, über andere Indizien zu verfügen, die ein frauenfeindliches Umfeld bei der G. nahelegen. Das Bundesarbeitsgericht hat darauf das LAG bereits selbst hingewiesen. Ein weiteres neues Indiz kommt hinzu. So wird sich das LAG jetzt mit dem Gutachten von Frau Professor Krell auseinandersetzen müssen.

Ein weiteres Indiz tritt hinzu. Inzwischen hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass gegebene, jedoch falsche, wechselnde oder in sich widersprüchliche Begründungen für eine benachteiligende Maßnahmen Indizwirkung iSd. § 22 AGG haben könnten. Auch das hat der Fall von Frau K. vorzuweisen. Nachdem die G. anfänglich überhaupt nicht darlegen wollte, warum sie den männlichen Konkurrenten bevorzugt hat, hat sie später behauptet, das läge daran, dass dieser Mitarbeiter über besondere Qualifikationen bei der Personalentwicklungsplanung und Personalstrategieplanung habe. Nachdem man damit auch beim Bundesarbeitsgericht gescheitert war – das Gericht hat diesen Vortrag der G. in seinem Urteil ausdrücklich zurückgewiesen – hat die G. im letzten Jahr neue Argumente für die Bevorzugung des männlichen Kandidaten hervorgezaubert. Jetzt hat sie bei dem Kandidaten nach Ablauf von vier Jahren des Verfahrens auch noch besondere Fähigkeiten auf der juristischen Ebene und hinsichtlich seiner Führungsstärke entdeckt. Wenn das keine Widersprüche in der Argumentation sind, dann gibt es keine mehr.

Wir haben also noch viel Stoff. Es geht weiter.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf die Diskussion.“