Erstmals erfolgreiche Verzögerungsbeschwerde wegen überlanger Verfahrensdauer beim Bundesverfassungsgericht

Pressemitteilung | Berlin/Köln 06.09.2015

Beschwerdeführerin erhält von der Bundesrepublik Deutschland wegen in Karlsruhe jahrelang verzögerter Entscheidung 3.000 Euro Entschädigung.

Röttgen, Kluge & Hund Rechtsanwälte haben sich mit einer gegen das Bundesverfassungsgericht gerichteten Verzögerungsbeschwerde durchgesetzt.

Mit Beschluss vom 20. August 2015, der am vergangenen Freitag veröffentlicht worden ist, hat die Beschwerdekammer des Bundesverfassungsgerichts unserer Mandantin eine Entschädigung in Höhe von 3.000 Euro wegen der unangemessenen Dauer ihres Verfahrens zugesprochen.

Die Verfassungsbeschwerde war bereits im März 2009 eingereicht worden. Ein Nichtannahmebeschluss war dann allerdings erst im September 2014 ergangen. Die Nichtannahme erfolgte unter Hinweis auf einen Vergleich, den die Beschwerdeführerin mit ihrem Arbeitgeber geschlossen hatte, nachdem sie mittlerweile erkrankt war. Ihr war es bei der Verfassungsbeschwerde darum gegangen, ihre Gleichbezahlung als Arbeitnehmerin mit einem männlichen Kollegen zu erreichen.

Die Beschwerdekammer unter Vorsitz des Richters Prof. Landau hat diese beispiellose Entscheidung, die deshalb rechtshistorische Bedeutung hat, mit den außergewöhnlichen Besonderheiten des Verfahrensverlaufs begründet. So war die zwischen den beiden Senaten streitige Zuständigkeit zunächst eineinhalb Jahre ungeklärt geblieben. Nach einer Änderung der Geschäftsverteilung hatte sich die Abgabe an den nunmehr zuständigen Ersten Senat abermals um ein Jahr und zehn Monate verzögert, weil der Zweite Senat trotz anwaltlicher Hinweise die eigene Unzuständigkeit nicht erkannt hatte. Das Gericht und einzelne Richter – unter ihnen auch der Präsident – waren zudem anwaltlich mehrfach nachdrücklich auf die grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung dieses Rechtsstreits, insbesondere die Auswirkungen für viele weitere ähnlich gelagerte Fälle von geschlechtsbezogener
Lohnungleichheit in Deutschland hingewiesen worden. Diese hohe gesellschaftliche Bedeutung findet etwa Ausdruck im jährlich stattfindenden EQUAL-PAY-DAY. An diesem Tag wird durch zahlreiche Frauenverbände, aber auch das zuständige Bundesministerium, auf den auch durch amtliche Statistiken belegten Gehaltsabstand hingewiesen, den Frauen als Arbeitnehmerinnen gegenüber ihren männlichen Kollegen aufweisen.

Die Verzögerung der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde hat zu bedeutenden Nachteilen für die Beschwerdeführerin geführt. Wegen des langen Wartens auf die verfassungsgerichtliche Entscheidung, die zudem für einen Folgerechtsstreit von großer Bedeutung gewesen wäre, und der sie gesundheitlich zunehmend belastenden Situation zeigte unsere Mandantin sich schließlich mit einem Vergleich mit ihrem Arbeitgeber einverstanden.

Die Klärung der von ihr aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen zur Lohngleichheit von Mann und Frau, die die Beschwerdeführerin auch im Interesse vieler Frauen geklärt wissen wollte, ist deshalb unterblieben, zumal die zuständige Kammer mit der Berichterstatterin Prof. Baer entgegen zahlreichen Stimmen in der Literatur eine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung jedenfalls nach Abschluss des Vergleichs verneinte. Bei Bejahung der grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedeutung hätte das Verfahren unabhängig vom Vergleich, der trotz der getroffenen Vertraulichkeitsabrede vom Bundesverfassungsgericht angefordert worden war und ihm vorlag, zu Ende geführt werden können.

Die Beschwerdeführerin hatte vor den Arbeitsgerichten u.a. konkret geltend gemacht, sie sei gegenüber einem in gleicher Funktion tätigen und gleichwertig beschäftigten männlichen Kollegen im selben Unternehmen schlechter bezahlt worden und die Zahlung der Gehaltsdifferenz beantragt. Da die materiellen Schäden, die die Beschwerdeführerin geltend gemacht hat, vom Bundesverfassungsgericht nicht anerkannt worden sind, werden Röttgen, Kluge & Hund Rechtsanwälte nunmehr mit ihrer Mandantin besprechen, ob sie eine Amtshaftungsklage gegen die Bundesrepublik Deutschland einreichen will. Eine solche Klage erscheint im jetzigen Stadium durchaus aussichtsreich, weil nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts an einer Amtspflichtverletzung des Gerichts kein Zweifel mehr bestehen kann.

Die von der Beschwerdekammer des Bundesverfassungsgerichts aufgeworfene und negativ beantwortete Frage nach der Kausalität der Amtspflichtverletzung für die geltend gemachten finanziellen Schäden der Beschwerdeführerin würde sich vor einem Zivilgericht in anderer Weise stellen. Dort kämen der Beschwerdeführerin bestimmte von der Rechtsprechung entwickelte Beweiserleichterungen im Rahmen der Zivilprozessordnung zugute. Das Bundesverfassungsgericht selbst müsste dort als Vertreter der beklagten Bundesrepublik Deutschland auch im Rahmen seiner sog. „sekundären Darlegungs- und Beweislast“ genau darstellen, warum eine Entscheidung durch den zuständigen Senat nicht eher möglich gewesen sein soll.

Röttgen, Kluge & Hund Rechtsanwälte werden mit der Mandantin auch beraten, ob sie bereit ist, vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte den Nichtannahmebeschluss unter dem Aspekt der nun feststehenden endgültigen Verweigerung von Rechtsschutz prüfen zu lassen. Ob zum jetzigen Zeitpunkt zusätzlich bereits das Individualbeschwerderecht besteht, das Frauen gegenüber dem CEDAW-Komitee in New York aufgrund des Fakultativprotokolls der UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung besitzen, wird zusätzlich geprüft und sodann mit der Mandantin besprochen werden. Dieses UN-Protokoll garantiert, wie sich insbesondere Art. 4 des Fakultativprotokolls entnehmen lässt, betroffenen Frauen einen innerstaatlich wirksamen und somit zeitnahen Rechtsschutz, den das Bundesverfassungsgericht nicht imstande war, unserer Mandantin zu gewähren.

Unsere Mandantin ist während des gesamten Verfahrens vor den Arbeitsgerichten und dem Bundesverfassungsgericht von Anwälten betreut worden, die bei Röttgen, Kluge & Hund Rechtsanwälte tätig sind. Die Betreuung während des Verzögerungsbeschwerdeverfahrens hat Rechtsanwalt Kluge übernommen. Er ist auch für Pressekontakte zuständig.

Kontakt zu Rechtsanwalt Kluge Tel: (030) 91 45 68 17
Mail: kluge@roettgen-kluge-hund.de.
Rechtsanwalt Kluge wird sich bei Rückfragen von Journalisten schnellstmöglich zurückmelden.

Hier finden Sie diesen Text als PDF:  2015-09-06Pressemitteilung

 

Weitere Informationen:
Veröffentlichung des Bundesverfassungsgerichts (Entscheidung)

Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts: Entschädigung wegen unangemessener Verzögerung

Artikel auf Juraforum.de – Erstmals Entschädigung wegen Verfahrensverzögerung

Badische Zeitung: Karlsruhe verurteilt sich selbst